Auszüge aus "Hartz 4 You - Liebe macht frei" - frivole Brücke zwischen Gehorsam und Freiheit
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...
Die
Gespräche im Jobcenter begannen ihm richtig Spaß zu machen. Wenn es
hakte, wusste er einen Motivationsspruch oder eine klare Ansage.
Ausreden konnte er erkennen, bevor sie ausgesprochen waren. Es war im
Grunde nicht anders als mit den Kindern. Nur waren die wenigsten
seiner erwachsene Kunden halb so kreativ wie die KiTa-Kinder.
Der
Stuhl, auf dem er nun regelmäßig saß, der auf der anderen Seite
des Tisches, war SEIN Stuhl. Da gehörte er -zumindest für den
aktuellen Lebensabschnitt- hin.
Seine
Fallabschlussquote war besser als die der anderen
Vermittlungsfachkräfte, die teilweise noch vom Sozialamt übernommen
worden waren, bevor es 2005 die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe
und Sozialhilfe zum „ALG-II“ gegeben hatte.
***
„Svenja,
Svenja, Svenja!“
„wie
heißt Du eigentlich mit Vornamen, Herr Ludwig“ fragte sie ihn ein
wenig glucksend.
„Tobias,“
sagte er und lachte... er hatte überhaupt nicht daran gedacht, dass
sie ja nicht gewusst hatte wie er hieß. Überall war nur sein
Nachname ersichtlich gewesen.
„Tobias,“
wiederholte sie.
„Tobias,
Du hast es mir sehr sehr gut besorgt. [...] Es war mir eine Ehre Dich in mich einzugliedern...“
Tobias
war es sehr fremd, wie sie so mit ihm witzelte und er spürte ihre
neckende Hand in seinem Nacken und ihre sich festziehenden Muskeln
auf seinem Schoß.
„Svenja,
ich musste Dich sanktionieren...“ wollte er ihr sagen und diesmal
auch weiter zu dem Thema ausholen. [...]
„Wo
willst Du hin, Engelchen,“ fragte er sie [...]
„Ich
muss noch ein paar Bewerbungen schreiben,“ entgegnete Svenja mit
einem Lächeln. „mein Arbeitsvermittler sanktioniert mich sonst um
weitere 30 %.“
***
„Nein,
ernsthaft, ich möchte eine Zustimmung zu meiner Ortsabwesenheit
– noch heute, Tobias! Ich komme gleich, wenn ich mit dem Projekt
hier durch bin, zu Dir... wenn Du willst ...und du erteilst sie mir!
Dann kann ich übermorgen mit dir mitfahren.“
„Du
durchtriebenes kleines Luder!“
„Ist
das die offizielle Bezeichnung für alle Menschen, die sich
regelkonform nach SGB-II verhalten?“
[...]
Sie
schloss hinter sich die Tür und raunte: "wann ist Dein nächster
Termin, Tobi?"
„In
15 Minuten. Aber ich möchte gern erst überlegen, ob ich Ihnen den
Urlaub bewilligen werde.“
[...]
„Bearbeite
jetzt meinen Urlaubsantrag, Herr Ludwig! Oder soll ich Dir mal zeigen
wie das geht?“
„Svenja,
Du setzt Dich jetzt nicht auf die andere Seite des Tisches oder...“
„Oh
doch, das werde ich.“
„Svenja,
nein... ich bin der Arbeitsvermittler...“
„Du
willst mir doch gerade Urlaub vermitteln, Tobi... und ich
coache Dich wie man das macht“
Svenja
schaffte es auf den Stuhl von Tobias und legte ihren Antrag auf
Ortsabwesenheit auf den Tisch. Bevor sie aber einen Stift ergreifen
konnte, war Tobias bei ihr und zog sie vom Stuhl.
Krachend
fielen sie hin[...]
***
„Liebe
Frau Zimmermann,
ich
möchte gern eine Vertiefung unserer Eingliederung bei Ihnen
ankündigen. Wann hätten Sie denn Zeit? Gruß T.“
Darauf
kam fast umgehend eine Antwort:
„Ist
das ein Angebot mit Rechtsfolgenbelehrung oder ohne?“
Tobias
antwortete: „Die Rechtsfolgen sind für mich völlig unabsehbar.
Aber wenn Du mich lange zappeln lässt, werde ich wohl einen
Verwaltungsakt verhängen müssen...“
Svenja
teilte ihm daraufhin eine Adresse mit, an der er sie erst am nächsten
Tag treffen konnte.
Offensichtlich
war es NICHT ihre dem Jobcenter bekannte Meldeanschrift.
***
Er
ließ sich auf den Stuhl plumpsen und anstelle des Mittagessens
machte er sich nur einen Kaffee.
Es
lagen jede Menge Akten vor ihm, die alle noch zu bearbeiten waren.
Dass sie als geöffnete Vermerke am Bildschirm warteten, machte es
nicht einfacher, nur dass sie sich nicht großartig auf dem Tisch
türmten.
Doch
auch da lag einiges herum. Besonders die Sachen von Svenja.
Svenja…
sie lag hier auf seinem Tisch. Wie erregend, wenn er sich vorstellte,
dass es nicht nur ihre Akten wären, sondern sie selbst.
***
Frau
Zimmermann blieb auf der Treppe stehen. „Ich hab es nicht eilig
heute. Mir wurde nicht nur die Auskunft verweigert, sondern auch noch
vermutlich alles so gedreht, als sei ich schuld. Ich kenne doch diese
Rechtsbeugungen… Herr LUDWIG – ich bekunde es jetzt und später
noch schriftlich vor ihren Vorgesetzten: ICH WÄRE HEUTE HIER
GEBLIEBEN, WENN SIE MICH NICHT von der Maßnahme abgezogen hätten.
Sie sind aber durch die EGV wie meine AMME. Ich bin bereit, die
Maßnahme zu absolvieren. Aber es muss alles rechtens sein.
Und dieses Recht muss mir auf Nachfrage vorab auf den Einzelfall
anwendbar dargelegt werden.“
„Schluss
jetzt,“ schimpfte Tobias sie an. Frau Zimmermanns weißes
Che-Guevara-Barrett passte so gar nicht zu den ins Devote
tendierenden Worten. „Hören Sie endlich damit auf. Überlegen Sie
sich das vorher. Ich bin natürlich nicht Ihre Amme. Ich bin
die Staatsgewalt. Und ich führe korrekt das SGB-II aus.“
[...]
„Kommen
Sie zur Tür,“ forderte er.
„Sind
Sie hier verantwortlich für das Haus?“ Jetzt fing sie doch schon
wieder an mit irgendwelchen Fragen...
„Kommen
Sie jetzt, ich will hier nicht laut werden.“
„Wo
können wir denn hingehen, damit Sie mal laut werden können?“
„Frau
Zimmermann. Bitte! Kommen Sie jetzt und dann trennen sich
unsere Wege,“ Tobias flehte sie im Forderton an. Svenja schien das
diebisch zu genießen und sagte: „Ich denke gar nicht daran. Gegen
mich wurde kein Hausrecht ausgesprochen. Sie haben nicht das
Hausrecht. Es ist nicht mein Problem, wenn SIE ein Problem haben. In
Sachen EGV Verwaltungsakt bin ich offiziell Ihre Sklavin. Und ich bin
BEMÜHT darin alles nach Vorschrift zu machen.“
[...]
"...Im Träger sind Sie nicht versichert, weil Sie nicht
unterschrieben haben. Nun kommen Sie zur Tür. Ab in die Freiheit.“
„Aber
nur, wenn ich keine Sanktionen bekomme,“ forderte Svenja auf der
Treppe angekommen wie ein verhandlungspfiffiges altkluges Kind.
„Das
kann ich leider nicht garantieren! Ich muss SGB-II einhalten.“
„Dann
zitieren Sie es mir, Herr Ludwig! Wenn der Leistungsbeziehende
eigenmächtig eine zugewiesene Maßnahme abbricht oder Anlass gibt,
dass der Träger eine Maßnahme abbricht..“
Sie
hielt inne und schien zu erwarten, dass er den ihm bekannten Satz
ergänzte.
„Sie
haben schon allen Anlass gegeben. Das wissen Sie selbst und wo das
bekannt ist, habe ich keinen Handlungsspielraum. Sie könnten aber
morgen wiederkommen und den Vertrag unterschreiben. Dann ist alles
gut! Dann muss ich Sie nicht sanktionieren.“
„Aber
das müssen Sie nie! Wenn irgendwer SIE ZWINGT Sanktionen zu
verteilen, könnten Sie remonstrieren...“
„Warum
sollte ich! Ich stehe hinter SGB-II – ich finde Sie sollten endlich
aufwachen aus Ihrem kindlichen Rebellionswahn. Sie sind so alt wie
ich! Stellen Sie sich Ihrem Leben und Ihrer Verantwortung.“
„[...] Falls
sie mich zu einer Unterschrift unter Sanktionsankündigung zwingen,
dann brauche ich genau diesen SATZ schriftlich und unterschreibe
sofort den ganzen Wisch des Trägers!“
***
Ob
Svenja einen Freund hatte? Würde der zu ihr halten in der Not? Würde
sie klagen oder gar öffentlich hungern wie Ralph Boes, den sie auch
immer wieder in ihren Kommentaren erwähnte und verlinkte?
Tobias
las sich dann an Ralph Boes fest. Dieser Idiot, der brachte so viel
Zorn in ihm auf!!!
Wenn
die Leute wirklich sowas nachmachen! Das Blöde war, dass Boes mit
seinem BRANDBRIEF irgendwie total RECHT hatte und Meinungen vieler
Jobcenterbeschäftigter, gerade der „linkeren“ traf –
andererseits aber zu einer Welt einlud, die den Untergang des
deutschen Arbeitsmarktes und der deutschen Arbeitsmoral bringen
würde...
***
[..]
Das
klingt doch völlig absurd wie in einem Märchen. Ich fühle mich
auch so!
Doch
das ist die Realität:
Es
tut mir leid - ich bin ein Arbeitsvermittler und kein
Träumewahrmacher von Beruf.
Dabei
schreit mein ganzes Herz, dass es Dir jeden nur erdenklichen Wunsch
erfüllen möchte!
Ja,
ich bin absolut total total befangen...
***
Frau
Holtznagel hatte wohl gerade wieder so eine intensive Begegnung
gehabt. Eine Buchhalterin hielt sie auf Trab [...]
Immer
entwischte sie auf diese Weise dem Zugriff Frau Holtznagels und sie
schlug vor, die Zuständigkeiten auch mal zu wechseln.
Das
sei nicht nur im Fall von „schlecht laufenden“
Antragsteller Arbeitsvermittler-Verhältnissen gut, sondern auch mal
bei solchen „unauffälligen Fällen“, wo ggf. die
Vermittlungsfachkraft jemanden „unkompliziert durchwinke“ über
Jahre. Jeder habe da ggf. blinde Flecken. So jedenfalls argumentierte
Helena.
Tobias
schaute Wieland nachdenklich-ernst dabei an, dass dieser sofort
sagte: „Vergessens Sie's, Zimmermann bleibt Ihre!“
Helena
lachte.
„Und
für Sie finden wir auch ne Zimmermann,“ scherzte Wieland. „Nicht
dass hier die Arbeitsmoral meiner Mitarbeiter sinkt, bloß weil
gerade ein faules Ei dabei ist, das stärker stinkt als die anderen.
Die anderen sind gut zu vermitteln. Gerade im Helferbereich ist doch
der Arbeitsmarkt in Traumland und Umland bis nach Berlin gut
aufnahmefähig! Wir haben auch etliche eingekaufte Maßnahmen! Maja,
wenn Du wieder so resistente Selbständigkeits-Beharrer hast, dann
sei ruhig wieder etwas großzügiger mit den Coachings.“
[...]
***
Um
Svenja zu erreichen, fiel Tobias jetzt nichts anderes ein, als Svenja
direkt zum Ende ihrer Krankschreibung einzuladen.
Ja,
zu einem dieser „ich möchte mit Ihnen über Ihre berufliche
Situation sprechen“ - Termin. Um Svenja nicht völlig
abzuschrecken, schickte Tobias den Brief OHNE Rechtsfolgenbelehrung
an sie raus. Mit Rechtsfolgen dagegen versah er ein Päckchen
Vermittlungsvorschläge, auf die Svenja ja reagieren könnte, wie von
Herrn Wieland schon eingeräumt, mit: „ich konnte mich nicht
bewerben, war krank“.
Da
gab es ja Ermessen, das anzuerkennen. Z.B. Wenn man krankheitsbedingt
nicht zu einem Drucker oder Internetcafé gehen konnte oder einen
kurzfristigen Vorstellungstermin nicht wahrnahm. Der Klassiker wäre
auch einen gebrochenen Arm zu haben und damit für Schreibkram
auszufallen. Wer frech herumposaunt: ich blogge von früh bis spät
aus meinem HartzIV-Bett-Büro und schlurfe zwischendurch nur kurz zum
Lidl, dem konnte das ggf. durch das Gericht faktisch überzeugend
als Bewerbungsversäumnis ausgelegt werden. Wenn so jemand immerfort
am PC Tippendes nichtmal eine E-Mail an einen Arbeitgeber schickte...
Andererseits
gab es auch da Grenzen. Um so mehr Tobias darüber nachdachte, um so
mehr sah er auch aus Svenjas Position oder einer möglichen Position
als „Jobcenter-Gegner“ bzw. auch durch die Augen eines „bewussten
Arbeitsverweigerers“ unzählige Möglichkeiten, sich „legal zu
wehren“!
Was
würde er denn tun, wenn ihm einer sagen würde:
„Du
bist krank, hast aber DSL im Haus – bewirb Dich mal bei folgender
Zeitarbeitsfirma (die Du selber nicht leiden kannst)?“
Ja
klar, wie sein alter Freund Sören mal sagte, der war ein
IT-Spezialist und arbeitete als Systemadmin und Netzwerkbeauftragter
an einem wissenschaftlichen Institut: „Bitte schicken Sie mir
Ihren öffentlichen PGP-Schlüssel, damit ich Ihnen datensicher meine
Bewerbungsunterlagen zuschicken kann.“
***
Tobias [...] ging die ganze Zeit mit seiner ihn schützenden,
forschen und zielgerichteten Art mit seinen Kunden um.
Nur
jetzt genoss er es wieder mehr, der Kontakt zu Svenja war ein
übertriebener Einzelfall geblieben. Keiner schaffte es, ihn so auf
die Palme zu bringen wie Sie.
Er
hatte gelernte Kassiererinnen, rheumatische Krankenschwestern, die ohne Durchbruchschancen jetzt irgendwas "Selbständiges" probierten, aber
auch immer öfter diese Leute, die nicht allein zum Amt gingen. Die
meisten brachten aber nur einen Aufpasser mit und nicht gleich 3 oder
mehr.
Sein
Kaffee wurde auch schonmal kalt während ein Gespräch sich schier
endlos in die Länge zog.
Nebenbei
hatte Tobias Svenja eine Meldeversäumnissanktion verpasst.
Herr
Wieland hatte nichts dagegen gehabt. Im Gegenteil.
Er
hatte gesagt: „Lass sie vor Gericht Recht bekommen, bekommt sie
halt DANN ihr Geld.“ Beide Männer lachten. „Lass sie doch
anschaffen gehen.... oder putzen... Callcenter nehmen nicht jeden,“
meinte Wieland und ergänzte zu Tobias' Belustigung:
„Ein
Hartzer seine Rechte kennt, die Pflichten aber oft verpennt, solch
Drückeberger sag ich Dir, der bleibt noch lange in Hartz IV.“
***
„Frau
Zimmermann,“ rief er sie auf.
„Heißen
Sie etwa alle Zimmermann,“ fragte er die 4 Leute, die alle
gleichzeitig von den Wartesitzen aufstanden und sich auf ihn
zubewegten.
[...]
Tobias
wurde es zu bunt. „Frau Zimmermann! Wenn Sie jetzt nicht SOFORT mit
in mein Büro kommen ohne diese anderen Herrschaften, dann ist der
Termin jetzt beendet!
[...]
Aber jetzt mal etwas Ballet, denn es warten schon
die nächsten Kunden!“
„Wo
denn,“ fragte Frau Zimmermann und funkelte Tobias forschend an.
Die
kann sowas von mit Sanktionen rechnen... diese widerspenstige
arbeitsscheue Künstlerin!
***
Einige
Tage später begann es Faxe zu hageln.
Mehrfach
brach das Fax den Dienst ab und dann wurden wieder mehrseitige
Anträge von vorn gefaxt.
***
Ein
wenig seltsam war das für Tobias aber schon. Er hatte soeben unter
Androhung von Leistungskürzungen dem Betreiber eines
Schlüsseldienstes geraten, sich bei einem „Konkurrenzbetrieb“
vorzustellen. Dafür würde sogar Einstiegsgeld gezahlt werden an den
Betrieb…
Wäre
Munstermann etwas pfiffiger und hätte z.B. einen KfW-Kredit oder
ähnliches abgestaubt zuvor, würde ER jetzt selber einen
Angestellten suchen… und für diesen das Einstiegsgeld kassieren.
Aber
in diesem Markt konnten nur die härtesten überstehen und die Plätze
für die sind nunmal rar.
Die
überschüssigen „Chefs“ und „Eigenbrötler“ müssten sich
doch einfach mal trennen von ihrem Traum und die Sicherheit unter der
Führung eines erfolgreicheren Arbeitgebers suchen. Wie er das selber
auch getan hatte. War doch möglich. Was sollte auch ein Markt mit 20
Nagelstudios in einer Straße und 50 Änderungsschneidereien,
Schlüsseldiensten, Internetcafés?
Eben
– damit einer vernünftig seinen Angestellten bezahlen kann, muss
er seine Ellenbogen einsetzen und sich behaupten – die anderen zu
seinen Angestellten soll machen, wer am besten führt.
***
Es
war wie oft in sozialen Berufen oder sozialen Bewegungen. Erst ist
immer alles tutti und plötzlich knallt's.
So
war Tobias von heut auf morgen freigestellt. Sein Büro konnte er
dann noch räumen in den kommenden Wochen. Es gab noch den Resturlaub
und dann begann sie, die offizielle Arbeitslosigkeit.
***
...und
dann war seine Wahl ausgerechnet auf Svenja für so ein Abenteuer
gefallen. Er hätte ihr ja sagen können: „Danke für die Avancen,
ich fühle mich sehr geschmeichelt – aber suchen Sie sich bitte
erst eine anständige Arbeit. Kommen Sie weg von Hartz IV und senden
mir dann Ihre Karte. Da würde ich nicht abgeneigt sein...“
Ja,
er hätte IHR Interesse an ihm – wenn es denn überhaupt echt
bestanden hatte und sie nicht nur einen irrwitzigen Versuch von
politischer Missionierung gekoppelt mit etwas Spaß unternommen hatte
– einsetzen können, um sie „zu motivieren“ schnellstmöglich
ihren Leistungsanspruch zu senken!
Hinterher
ist man immer schlauer, dachte er sich. Doch was, wenn er nun der
Vater sei? Alle Arten von Nachfragen oder Kontaktaufnahmen könnten
jetzt von Svenja gegen ihn eingesetzt werden. Sie müsste nur zur
Geschäftsleitung gehen mit Tobias Mails, SMS, whatsapp oder Briefen.
Sie könnte dann sagen: gegen meinen Willen hat Ihr Mitarbeiter mit
mir Kontakt auf privater Ebene aufgenommen.
Gut,
dann würde man vielleicht feststellen, dass Svenja selber den
Kontakt gesucht habe. Aber „geoutet“ wäre er in jedem Fall –
wenn auch nicht unbedingt bestraft für seine „private Nutzung
dienstlich erworbener Daten“.
In
jedem Fall hatte Svenja ihn ja nur über die Arbeit kontaktiert.
Privat hatte sie vordem gar keinen Zugang zu einem seiner
Kommunikationskanäle noch stand er mit Kontaktdaten im Netz.
Kontaktaufnahmen solcher Art müsste man doch auch der Leitung
melden…
Tobi
fühlte sich mies und vom Schicksal korrumpiert, wenn nicht von
Svenja betrogen. Diese fiesen kleinen Hartzspielchen sollte man
verbieten und Frauen wie Svenja für ihre Anvancen - ganz gleich ob
man selber darauf eingestiegen war oder nicht – bestrafen. Es
sollte den Kunden verboten sein mit den Arbeitsvermittlern zu
flirten, nicht umgekehrt. Dann würde Tobias sich wieder gut fühlen.
***
"Hör
mal, Ludwig, Du hast mir 50 000 EUR gestrichen."
„Hab
ich nicht. Finger weg.“
„Nicht
so schnell, Hübscher! Du bist ein schmieriges schmalziges Arschloch.
Ich bin zwar Hetero, aber Dich möchte ich echt gern mal XXXX!“
„Hören
Sie damit auf – ich warne Sie!“
ohne
den Wachschutz fühlte sich Tobias nicht ganz so mutig.
„Ich
weiß wo Dein Auto steht und wo Dein Haus wohnt.“
***
„Du
lügst, Ludwig. Was hast Du?“
„Ich
hab versucht Dich abzuwehren. Du bist so jung! Aber Du bist auch
irgendwie super sexy...“
„Aha...“
Helena zog eine Braue hoch und ließ sich das ganz langsam auf der
Zunge zergehen, aalte sich und strich ihm zärtlich über das
hellblaue leicht geöffnete Hemd.
„Tobias
Ludwig… wollen wir heute abend mal was zusammen trinken?“
„Ja…
erlöse mich von dieser Svenja. Ich halte das nicht mehr aus. Ich
habe sie hier auf dem Tisch gehabt und konnte nicht von ihr lassen.
Rette mich, Helena. Ich weiß, ich bin ein paar Jahre älter als Du,
aber nur für einen Abend, rette mich.“ Seine offenbarende
Ausdrucksweise wurde von Helena entweder überhört oder für eine
Metapher gehalten.
„Ich,
Dich retten? Ich will Dich reiten...“
Tobias
grinste. Das ging klar. Endlich. Er würde diese verkorkste Kundin
nun endlich vergessen und dieses schmerzhafte Kapitel abheften.
Svenja würde ihr Ausländergör bekommen und sich mit irgendwelchen
Muselmanen ärgern – er würde weitermachen und irgendwann als
Teamleiter das ganze Elend nicht mehr sehen, sondern an passender
Stelle durchgreifen und sich hochbefördern.
***
Er
hatte überlegt, das ganze Büro heimlich mit Kerzen vollzustellen
und den Tisch, auf dem sie das erste Mal miteinander geschlafen
hatten, mit Blumen zu übersäen. Oh Gott, das sah ihm alles nicht
nur nicht ähnlich, es war auch KRANK. Das war nicht nur KRANK,
sondern Kündigungsgrund. Psychopath und Punkt.
Er
hatte überlegt, sie ganz lieb reinzubitten, mit Beistand oder ohne,
das müsste sie entscheiden, und dann die Tür zu schließen und sie
zu drücken. Ganz fest.
Dabei
würde er mit Sicherheit anfangen zu heulen und der Rest wäre garantiert
Peinlichkeit in Person, aber er würde sich damit von allem Schmerz
und allem Ungesagten befreien.
Er
dachte so viel und malte sich alle Möglichkeiten aus. Nur nicht die
simpelste von allen:
SVENJA
KAM NICHT ZUM TERMIN.
***
Tobias
hatte weder den Mut, ihr so einen Brief zu schicken, geschweige denn
den Mut, den Inhalt auch ohne Svenjas Reaktion darauf oder ohne ihr
„Mitwirken“ in die Praxis umzusetzen. Hätte er einzig und allein
für die Idee der Menschenrechte, so sie – wie von Svenja
und anderen behauptet - im Konflikt mit SGB-II stünden, das
durchgezogen? Also losgelöst von seinem persönlichen Glück oder
Klärungswillen mit Svenja? Nein und nochmals nein – abstrakt war
er eben KEIN Kämpfer für die Grund- und Menschenrechte und empfand
diese Leute, die das taten, als Exzentriker oder Fanatiker, als
Leute, die das eigentlich wohlmeinende des Sozialstaates verkennen
oder missbrauchen würden… So konnte er auch nicht losgelöst von
Erwartungshaltungen auf persönliches Beziehungsschicksal so ein
Schreiben heraussenden, was ihm ggf. im Licht einer offenen
Begutachtung im Kollegium oder durch die Geschäftsführung die
Karriere beenden würde...
Svenja
erschien nicht.
Dafür
erreichte ihn ein Brief, der eigentlich an die Leistungsabteilung
gerichtet war. Daraus ging folgendes hervor:
Offenbar
ging Svenja jetzt regelmäßig zu einer „Freiwilligenbörse“ oder
bot einfach so irgendwie unbezahlt ihre Arbeitskraft an.
Unzählige
Geflüchtete warteten darauf, versorgt zu werden. Viele hätten sich
gern selber versorgt, doch das schien den staatlichen Lenkern und
Planern (auch wenn man sie zu Nach-DDR-Zeiten mitnichten so nannte)
noch schwerer zu realisieren als sie „abzufüttern“ in
Massenunterkünften.
Massenunterkünften
mit all deren negativen Auswirkungen: Frauen wurden unter diesen
Umständen sexuell belästigt, es gab kulturell angeregte Konflikte
zwischen Angehörigen unterschiedlicher Volksgruppen oder Religionen
oder Zoff mit den „Wärtern“ bzw. „Betreuern“.
Sozialfirmen
und sozialen Wohnungsbaugesellschaften verdienten an diesen Menschen
– genau wie Sicherheitsfirmen und eine große Bandbreite an
„Charity“-Aufmerksamkeit für Firmen, die an sich nichts mit dem
Thema „Geflüchtete“ zu tun hatten und deren Angestellte noch
nichtmal die Forderungen nach offenen Grenzen unterstützen.
Nur
die Waffenindustrie schwieg.
Welches
verwaiste Kind hätte schon gern ein Schmusetier oder einen
kostenlosen Tanz- oder Deutschkurs von Heckler und Koch? Das hätte
den irrsinnigen Ursache-Wirkungs-Komplex nur zynisch sichtbarer
gemacht, als er auch so schon ist.
***
„Herr
Ludwig, Sie haben das falsch geschrieben. Nicht ICH habe das Gespräch
verweigert, sondern SIE! Wollen Sie mir etwa eine Sanktion
verpassen?“
"Nicht
nur eine, Baby," dachte Tobias immer gehässiger. Er hatte Freude
daran, sie ein wenig ratlos die Stirn runzelnd vor sich stehen zu
sehen, während der Wachmann sie am Arm packte.
[...]
„Ich
könnte am Ende obdachlos werden durch Sie, ist es das, worauf Sie es
anlegen möchten?“
„Sie
leben allein – Ihnen ist die Obdachlosigkeit zuzumuten,“ sagte
Tobias eiskalt – daran denkend, wie er nicht nur seine zwei Katzen,
sondern auch den bei seiner Exfrau lebenden Sohn alimentieren musste.
Und als Steuerzahler auch Leute wie diese Hobbyrebellin und ihre
arbeitslosen Freunde.
Svenja
stand der Mund offen und sie sagte: „Einen schönen Tag Ihnen noch
Herr Ludwig – ich werde mich über Ihr Auftreten beschweren bei der
Teamleitung.“
„Das
können Sie doch alles schriftlich machen,“ sagte eine zweite
Wachfrau.
***
Vermutlich
hatte er nun noch „selber Schuld daran“, dass Svenja überhaupt
mit ihrem Punker-Kumpel in der Kiste war? Oder auch nur rumknutschte,
denn der war ja offenbar vom anderen Ufer? Tobias ekelte sich erneut
vor sich selber. Er ertappte sich, wie er sich vorstellte, mit dem
Mann in die Kiste zu steigen, nur um an die Frau zu kommen. Oder war
es umgekehrt?
Sollte
er mal einen Stricher nehmen, nur um zu testen, ob er auf Männer
wirklich abfahren könne in der Praxis?
Aber
nein, das sollte kein bezahlter Mensch sein, das sollte eine
Führungsgestalt sein. Dieser Carsten war aber alles andere –
vielleicht war er ein spiritueller Führer, aber optisch nicht das,
was Tobias sich von einem Mann wünschte. Gut, Svenja war das auch
nicht für sein Vergnügungsbild-Rollenverständnis von einer Frau – aber
vielleicht war das was anderes? Vielleicht, weil er Svenja echt
liebte?
Er
musste ihr schreiben, als Abschied, als Neuanfang, als
Rettung.
***
„Frau
Zimmermann,“ sagte die Richterin. „Kurz etwas Organisatorisches
vorab. Sie haben Zeugen laden lassen wollen:
Den
Maßnahmeträger-Geschäftsführer, Ihren Arbeitsvermittler, dessen
Teamleiter, mehrere andere Maßnahmeteilnehmer, die Initiatoren einer
sog. „Kreuzaktion“, Günter Wallraff sowie den
Vorsitzenden der Caritas Traumland. Sie haben für das Hinzuziehen
eines jeden Zeugen eine Begründung abgegeben.
Allerdings
hat sich die Kammer entschieden, auf die Zeugen zu verzichten.
Daher
können – sollten einige der Genannten hier im Raum sein – diese
auch hier sitzen bleiben.
Fahrt-
oder Verdienstausfallkosten kann auch niemand geltend machen, denn
wir haben niemanden als Zeugen geladen. Die nötigen Unterlagen zu
Ihrem Fall liegen dem Gericht bereits vor.“
Tobias
konnte sich an gar nichts dergleichen erinnern, dass er als Zeuge
geladen worden wäre. Helena grunzte hinter vorgehaltener Hand.
Gut,
das erfährt man dann wohl erst gar nicht, wenn das Gericht einen
nicht vorladen möchte.
Der
Generalterminsbevollmächtigte des Jobcenters war inzwischen auch
eingetroffen. Er war sichtlich aufgeregt. Sein spätes Auftreten
begründete er damit, zuvor mit einigen „Querulanten“ zu
tun gehabt zu haben – ganz früh am Morgen – in einem anderen
Saal etwas entfernt von jenem war zuvor schon die erste Verhandlung
anberaumt gewesen.
Die
Richterin wich von ihrem Programm ab und befragte ihn dazu. Er
meinte, man habe ihn nach seiner Vollmacht gefragt, die doch
hinterlegt sei im Gericht. Die Leute bzw. der dortige Kläger hätten
ihm das aber nicht geglaubt und auch die Rechtmäßigkeit und
Rechtsstaatlichkeit des Gerichts angezweifelt.
Ein
Raunen ging durch den Saal.
Die
Richterin machte ruhig weiter. Sie erteilte dem Bevollmächtigten
einen Verweis, weil dieser jetzt kaum zu bremsen war und über
angebliche „Reichsbürger“ schimpfte.
Giggeln
und Feixen war im Publikum zu hören.
Es
wurde dann eine sehr spannende Verhandlung.
Ruth
Karendorf, die Anwältin, berichtete, dass sie ehrenamtlich Svenja
Zimmermann vertreten würde. Beide Frauen berichteten den
Sachverhalt. Svenja holte dabei auch ein wenig aus. Die Richterin
ermahnte sie, konkret bei der Sache zu bleiben und nicht den Raum für
ihre politischen Spekulationen zu nutzen. Im Wesentlichen solle es um
ihre Anträge gehen.
Dabei
sprach sie gezielt Ruth Karendorf an. Diese aber meinte, der
Sachvortrag ihrer Mandantin sei noch nicht beendet und wesentlicher
Teil des rechtlichen Gehörs.
[...]
Svenja
würde triumphieren… und das tat sie!
Sie
juchzte und ihre Stimme überschlug sich dabei wie die eines
Jugendlichen im Stimmbruch. Ihre Leute umringten sie wie in einem
Fußballclub und ein älterer Mann zückte eine Kamera – wie immer
er die hier hereingebracht hatte.
„Das
bitte draußen,“ pfiff ihn die Richterin an.
„Das
ist mit denen alles abgesprochen.“
„Aber
mit uns nicht – feiern Sie draußen und machen da Ihre Fotos.“
„Los,
raus hier! Ab ins Morgenthau! Dort geb ich ne Runde Kaffee
aus!“
„Svenja,
zieh nicht so die Stirn kraus – und schieb mal Deine Locken hinter
die Ohren! Du bist der STAR des Tages!“
Der
Fotograf hatte so seine Wünsche und Tobias konnte sich nicht von
seinem Platz erheben. Er war bleich darauf gesunken und wünschte
sich ÜBERALL zu sein, ggf. in der Hölle, nur nicht hier.
Nichtmal
seine Kollegen waren da – jetzt, wo er sie gebraucht hätte. Der
Generalterminsbevollmächtigte war ohne nach links und rechts zu
sehen aus dem Saal geflüchtet, wurde jetzt aber von Svenja noch
angesprochen. Die Dame hatte ein lautes Organ. „Hey, Herr
Jobcenter-Terminsvollmacht-Mann! Danke für Ihr Erscheinen und Ihre
gefasste Hinnahme des Urteils. Werden Sie in Berufung gehen?“
Der
Mann antwortete offenbar nicht, aber einer von Svenjas Freunden
sagte: „Der Streitwert ist zu gering Madame! Du hast zwar gewonnen,
aber juristisch bist Du keine Leuchte!“
„Ich
bin ja auch eher Schauspielerin,“ konterte Svenja.
Tobias
stand mühselig auf, denn er hatte keine Lust darauf zu warten, von den Saaldienern, rausgeschmissen zu
werden. Er fühlte sich wie ein kleiner Junge im Schulbus, den man
vergessen hatte.
***
„Hast
wohl gefeiert, Kollege?“
Thorsten
Walter aus der Leistungsabteilung schlürfte seinen Kaffee runter. Ab
und an hielten die beiden einen kleinen Plausch.
„Nicht
wirklich… aber ich hab das ganze Wochenende gevögelt.“
„Oh,
verstehe…,“ Thorsten grinste. „Das schlaucht – aber das ist
es ja wohl hoffentlich wert gewesen?“
„Ja.“
Tobias grinste zurück. Hätte sein Kollege nach einem Namen gefragt,
hätte er sich auf den Datenschutz berufen.
***
„Koch
mir 'nen Kaffee," verlangte Tobias. Svenja rollte sich auf die
Seite. Sie blinzelte zur alten Uhr an der Wand: "Es ist erst
halb 10 - lass mich schlafen!" "Svenja, das ist die zweite
Arbeitsverweigerung an diesem Wochenende! Ich müsste Dich mal wieder
sanktionieren..."
"Du
wolltest mich ohne Lohn arbeiten lassen, Herzchen... das wurde mir in
meiner Eingliederungsvereinbarung aber verboten.. von Dir, wenn Du
Dich an Deine eigene Schreiberei erinnerst..."
Tobias
stützte sich über ihr ab. Während er zart ihre Ohrläppchen zu
beknabbern anfing, raunte er mit Schalk in der Stimme: "Dann
wenigstens eine klitzekleine Aktivierungsmaßnahme?"
"Oh
ja... das ist ohnehin vieeeeel wirkungsvoller als Koffein," gab
Svenja zurück und räkelte sich genussvoll. "Wenn Du das sooo
machst, kann ich später auch ganz freiwillig Deine Forderung von
gestern nachholen. Dabei fuhr sie sich mit der Zunge sinnlich über
die Lippen und genoss Tobias' liebevolle Neckereien und innigen
Liebkosungen.
Sie
ließen sich sehr lange für einander Zeit. Tobias schämte sich
schon wieder für seine ihn immer wieder und immer noch überkommende
Art, Svenja im Befehlston Dinge abzuverlangen, die sie ihm aus freien
Stücken schenken mochte.
[...]
„Wir Arbeitsvermittler schicken Leute was erledigen,
wir machen das nicht selbst,“ feixte er und Svenja hielt inne,
umschlang Tobias Hals und raunte:
"Mein
süßer fauler Arbeitsvermittler Du... wenn das hier eine MAE ist,
dann lass ich den Kaffee anbrennen - wie ich es auch in jeder
Zeitarbeitsfirma machen würde, in die Du mich schicken würdest..."
"Hab
ich das mal gemacht?"
"Ein
oder zweimal hast Du es versucht..."
"Ich
erinnere mich nicht dran - ich krieg davon so viele Unterlagen auf
den Tisch... die jubel ich dann nicht nur Dir unter... ich drehe die
jedem an, der bei mir an so einem Tag auftaucht..."
Svenja
biss Tobias in die Unterlippe.
"Mit
solchen Gemeinheiten solltest Du aufhören, kleiner
Arbeitsvermittler. Sonst wirst Du zu Zeiten des bedingungslosen
Grundeinkommens sehr sehr schlechte Karten haben... Du meinst doch
nicht, dass alle dann in dieser Zukunft ehemaligen Hartzer so wie ich
sein werden und vor Verknalltsein gar nicht mehr wissen, was Ihnen
alles angetan wurde?"
Sie
knutschten eine Weile und als Tobias den Kaffee und Svenja ihren Tee
vor sich stehen hatten, griff sie das Thema erneut auf. "Hasi,
wenn das, was ich hier mit Dir mache, in meinen Kreisen bekannt
würde, würden manche Leute meinen, ich litte am STOCKHOLM-Syndrom."
"Nie
davon gehört, was ist das? Ne Liebeskrankheit?"
***
"Tobi!
Ich habe nie Deinen Service gewünscht... mein Gott, ohne Dich
war alles so einfach! Kein blöder Vermittler hat mich angenervt.
[...]
Als würdest Du
persönlich mein Hartz IV zahlen... als würdest Du Ralph Boes
alimentieren. Junge, hast Du's nicht kapiert? Ralph Boes hat keinen
Cent bekommen. Schmarotzt er sich damit in den Hungertod? Tobi, ich
werde Dich nicht um einen Lebensmittelgutschein anbetteln! Ich finde
das entwürdigend.“
„Entwürdigend,
liebste Svenja, ist, dass Du überhaupt Hartz IV beziehst. Dass eine
so kluge Frau wie Du überhaupt auf staatliche Leistungen angewiesen
ist! Du könntest produktiver sein.“
„Meinst
Du ich sei faul?“
„Das
hab ich nicht gesagt.“
„Was
denn dann?“
„Du
könntest was aus Dir machen mit all Deiner Schlauheit und Deiner
Energie!“
„Mich
verkaufen?“
„Ja!“
„Mich
vernutten! Ich stelle mich nicht auf den Strich der Erwerbsarbeit! [...]"
***
Tobi
sah sie laufen. Sie lief neben dem Weg, durch das welke, harte Gras,
sprang über die Wildschweinwühlstellen, Baumstümpfe und über
herabgefallene Äste. Sprang auf das abgeerntete brachliegende Feld.
Er
hörte die Stöcke knacken unter ihren Dr. Martens Stiefeln. Ihr
bunter langer Rock – den sie so trug wie junge Rroma-Frauen, die in
der S-Bahn schnorren gingen, wehte um ihre Beine und die abgewetzte
3. -Hand- Lederjacke zeichnete elegant ihren sportlichen Körper ab.
Tobias
hatte plötzlich einen Jeeper auf eine Zigarrette, obwohl er seit ca.
15 Jahren nicht mehr rauchte.
Tobias
sah seine eigenen Existenzängste und wie sehr er seine auf die ihren
übertrug. Vielleicht war das für Svenja ganz anders? Sie konnte
offensichtlich schlafen. In seinen Armen. Den Armen des Mannes, der
jederzeit ihren Geldhahn abdrehen konnte. Wegen irgendeines fehlenden
Formulars
***
„Kannst
Du denn ohne Zukunftsängste schlafen?“
„Ich
könnte nicht schlafen, wenn ich andere sanktionieren würde. Kannst
Du schlafen, Tobi?“
„Du
hast neben mir gelegen, unter und über mir letzte Nacht. Habe ich da
geschlafen?“
„Weniger
als ich, glaube ich. Und Du hast mich unter Androhung von Kürzungen
meines Existenzminimums geweckt, wenn ich mich recht entsinne.“
„Ja,
das hab ich... und ich frag mich grad, ab wann man Dich mir zuordnen
kann.“
„Gar
nicht! Falls Du Schiss bekommst, Deine eigenen Kollegen aus der
Leistungsabteilung definieren Dich und mich als Bedarfsgemeinschaft,
dann wird es aber mal ne saftige Musterklage geben. Meine Freundin
Reyda ist total scharf auf sowas! Sie hat ihr Jurastudium wieder
aufgenommen extra wegen solcher Fragen von Zwangsehe durch
deutsche Behörden...“
„Aber,
aber…! Als wären wir hier in Afghanistan! Wieso vergleicht Ihr
das eigentlich immer mit totalitären oder grausamen Regimen, was
hier in Hartz IV läuft?“
***
„Wir
bräuchten auch kein Sozialsystem, du und ich. Ich sage und Du
machst,“ lachte er.
„Wie
wäre es, frei vom Leistungsbezug zu werden - keine Anträge
mehr stellen?“
„Machen
auch einige von uns, aber wir beanspruchen unsere Güter für die
Existenz trotzdem – mit oder ohne Amt.“
„Was
soll ich tun, Svenja?“
„Meine
Freiheit achten. Und natürlich Deine eigene Freiheit. Wenn Du die
nicht kennst, wirst Du sie auch einem anderen nicht zuerkennen
können.“
„Svenja,
wie denn? Du bist hier in Deutschland freier als an jedem anderen Ort
zu jeder anderen Zeit. [...]“
„In
dieser Zeit werden aus Prinzip Leute wegen der rechtlich ungeklärten
GEZ-Nachfolgeorganisation eingeknastet. Oder wegen nicht
bezahlter Strafzettel...“
„Es
muss Grenzen geben! Svenja, sonst könnte jeder kommen und...“
„und
vielleicht kostenfrei eine Bahn benutzen? Ich muss dann auch
irgendwann in den Knast, weil ich ohne Ticket Bahn gefahren bin…“
„Ach,
da zahlst Du ein erhöhtes Beförderungsentgeld und dann war's das.
Mache ich für Dich, Mädchen!“
„Tobi…
die haben Leute deswegen eingesperrt… auch weil jemand eine
Tütensuppe geklaut hatte...“
„Es
reicht!“ Tobias nahm die Flasche von Timon und herrschte Kilian an:
„Kilian Ludwig! Du packst jetzt sofort Deine Flasche weg oder es
gibt kein Eis!“
„Mann,
das macht aber Spaß! Wie soll ich das denn lernen, wenn ich nicht
übe?“
„Übe
mal Lesen! Und Rechnen! Oder willst Du so ein dämlicher
Hartz-IV-Trottel werden wenn Du groß bist?“
„Danke,“
zischte Svenja und rückte ein Stück ab.
[...]
„Na
fein, dann geh ich rein und esse mein Ei-heis!“
Tobias
ging rein und brachte keinen Bissen runter. Toller Ausflug. [...]
„Hey,
nun kommt schon. Eis schmilzt,“ sagte er dann nachdem er erneut zur
Tür kam um die Jungs hereinzu“motivieren“.
„Papa,
Dein Eis schmilzt. Geh mal rein, Du. Wir üben hier draußen.“
Tobias
schaute seinen Junior sehr streng an. Darauf ergänzte dieser: „Wenn
Du mir eine ballern willst, komm raus. Du kannst aussuchen: rechte
Seite, linke Seite oder beide.“ Dann warf er Timon die Flasche vor
die Füße und sie landete aufrecht auf dem Boden.
„Krass,“
kommentierte Timon und das traf so ziemlich das, was auch Tobias
fühlte.
Svenja
hatte alles mit angesehen und als Tobias reinkam, sagte sie zu ihm:
„Du
siehst zum Fürchten aus. Kannst nicht mehr lächeln? Hey, Du bist
mit Kindern unterwegs...“
„Diese
Kinder schocken mich.“
„Weil
sie sich nicht mit Strafen konditionieren lassen?“
„Svenja…
wohin soll das mit denen führen! Die werden kriminell wenn die
wie...“
„… so
wie ich?“
„Quatsch...“
„Doch,
so wie ich, Herzchen. Unerziehbar mit Strafen – lassen sich lieber
schlagen, verzichten auf ihr Eis… machen ihr Ding… Du bist
geschockt, mein Kleiner!“
„Ich
bin einfach sauer – immer irgend eine böse Überraschung! Ich will
nicht, dass mein Kind ein Krimineller wird… oder ein Hartzer! Jaja,
Du bist ne Hartzerin, aber ich will auch nicht, dass er wie Du wird.
Er soll was erreichen.“
„Na
das macht er doch schon. Hat er eben nichts erreicht? Guck, sein
Freund hat es eben geschafft und er heute schon zweimal. Die Flasche
steht wie eine Eins, wie sie es haben wollen. Bottle-Flip verlangt Übung...“
„Svenja,
das ist Dumme-Jungen-Scheiße. Das bringt keine Sau weiter.“
„Sagt
wer?“
Tobias
zuckte die Achseln, noch völlig schockiert über dieses Verhalten
und Svenjas Rückendeckung.
„Sie
lernen. Ist ne Geschicklichkeitsübung. Hier drin hat es genervt –
ja – Du hast ihnen Grenzen aufgezeigt, aber außerhalb derer bzw.
innerhalb der Verabredung haben sie einfach nur GEWÄHLT – das, was
sie lieber wollten. Und Dir sogar angeboten, Schläge zu kassieren.
Hey, welches Kind hat so einen Mumm? Dein Kleiner könnte echt ein
Super Hartz-Rebell werden – nur hoffe ich, dass Hartz IV bis dahin
Geschichte ist, wenn die groß sind.“
Tobias
schüttelte den Kopf. „Marion hat keine Art. Ich muss das jetzt
ausbaden. Fall Du mir jetzt nicht auch noch in den Rücken. Jetzt hab
ich denen so ein schönes Eis bestellt...“
„Ja,
Du bist traurig, abgelehnt zu werden. Komm, iss auf… oder magst Du
auch nicht mehr?!“
„Nö,
iss auf soviel Du schaffst...“
„Echt
nix? Ich liebe Eis! Also wenn das Dein bzw. Euer Ernst ist...“
Svenja
schaufelte Eis in sich rein und konnte aber nach 2 ½ Portionen nicht
mehr. Timon kam rein und wollte auf Klo. „Krass, Du frisst echt das
ganze Eis.“
„Ja,
Ihr wolltet ja nicht. Sorry… ich melde das dem Jobcenter. Dass ich
mit Eis abgefüllt wurde im Wert von 13 EUR 70… wird mir eigentlich
anerkannt als notwendige Ausgabe, wenn ich im Gegenzug die beiden
Kinder auf je eine Kugel für 1,50 einlade, die sie in der Waffel mit
rausnehmen können?“
„Klär
das mit der Leistungsabteilung, ich hab keinen Bock mehr. Ihr alle
geht mir auf die Ketten,“ sagte Tobias.
Svenjas
Auskunfts-Anträge nach dem Informationsfreiheitsgesetz hatte er auch
alle noch nicht bearbeitet. Er schob das alles bewusst nach hinten,
denn Svenja war ja nun ein Fall für sich – nicht nur weil ihr Name
mit „Z“ anfing und „Z“ immer zuletzt kommt...
Herr
Wieland rief ihn an. „Ludwig, Du musst rüber zu Holtznagel. Ein
Klient ist aufgetaucht, der Hausverbot hat. Hat sich reingemogelt!
Der Wachschutz ist schon da, aber geh mal schnell rüber, wir treffen
uns alle in Zimmer 3.081.“
Tobias
sprang auf, sperrte den Bildschirm und schloss die Tür ab.
Maja
Holtznagel stand wütend und den Tränen nahe verschanzt hinter ihrem
Tisch.
Ein
Mann mittleren Alters hatte sich vor ihr aufgebaut und verlangte
schriftliche Versagensmitteilungen über seine mündlich gestellten
Anträge.
Der
Mann hatte keinen Termin gehabt, war aber in den letzten Wochen
aufgefordert worden, schriftlich einige Nachweise zu erbringen. Diese
hatte er nun eingereicht, form- und fristgerecht aus seiner Sicht,
aber es hatte Probleme gegeben in der Kommunikation zwischen ihm und
Frau Holtznagel. Der Mann wollte einfach nicht gehen ohne
Eingangsstempel. Die Sachen seien vermittlungsbezogen und nicht
leistungsbezogen, Frau Holtznagel hatte ihn kulanter Weise spontan in
die Leistungsabteilung schicken wollen.
Herr
Ludwig, Sie kennen doch diesen Mann?
„Ja,
natürlich kenne ich ihn! Es ist der selbe, dem ich im Beisein von
Teamleiter Herrn Wieland Hausverbot erteilt hatte.“
Herr
Wieland kam nun auch hereingestürmt und verwies den Antragsteller
erneut des Hauses. Er kündigte ihm an, wegen Hausfriedensbruch eine
Anzeige zu erstatten und besprach das Prozedere mit Tobias, Frau
Holtznagel und Helena Weißflog sowie einigen anderen
VermittlerInnen, damit sich eine Standardprozedur daraus entwickeln
konnte. Auch der zuständige Bereichsleiter segnete das alles ab und
eine kurze Meldung ging an die Geschäftsführung hoch – für
weitere rechtliche Schritte.
„Wir
haben für solche Sachen einfach keine Zeit,“ betonte Tobias. Wenn
wir uns mit jedem Gewalttäter ärgern, können wir gar keine Fälle
mehr abschließen.“
„Aber
Sie sind diesbezüglich ein guter Mann, Ludwig,“ betonte Wieland.
„Nicht
nur wie Sie diese Frau Zimmermann abserviert haben, aber das war
schon eine Glanzleistung. Egal was die vom Gericht jetzt behaupten
werden, das Haus steht hinter Ihnen,“
Tobias
freute sich über das Lob aber es tat in Magengrube und Herz so
schrecklich weh, dass es sich nicht um irgendwen handelte, sondern um
Svenja... auf gar keinen Fall jedoch konnte er sich davon etwas
anmerken lassen oder gar irgendwen diesbezüglich ins Vertrauen
ziehen. Wie er Svenja darum beneidete, dass sie so etwas konnte und
Menschen hatte, mit denen sie solche Dinge mit Sicherheit besprechen
würde!
Gegen
21:30 brachte Svenja Tobias vor die Tür. „Du musst sicher früh
raus morgen?“
Tobias
lächelte. „Ich möchte auch mal so ein Hartzerleben führen.“
„Dann
mach es doch,“ hörte er den Mann von vorhin mit dem Smartphone sagen.
„Hör mal, keiner hält Dich ab das einfach mal auszuprobieren!
Jeder kann nur bei SICH SELBST anfangen.“
ein satirischer Beratungsvermerk, der niemals in das echte fiktive VerBIS Eingang fand:
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